Interview Oliver Ongaro

Oliver Ongaro

Oliver Ongaro hält als Streetworker von fiftyfifty seit zehn Jahren den Kontakt zu den Verkäufer_innen auf der Straße. Der Vater von zwei Kindern ist zudem im Vorstand von STAY! Düsseldorfer Flüchtlingsinitative e.V. aktiv und engagiert sich als Sprecher des Bündnisses für bezahlbaren Wohnraum und Düsseldorf stellt sich quer.

Wie kann es sein, dass in einer reichen Stadt, wie Düsseldorf, Menschen auf der Straße leben müssen?
In Düsseldorf sind lange Zeit kaum Wohnungen gebaut worden, obwohl es immer mehr Einwohner_innen gibt. Zudem hat die Stadt viele Freiflächen an private Investoren verkauft. Auf diesen Flächen sind fast ausschließlich hochpreisige Wohneinheiten entstanden, mit Quadratmeterpreisen von bis zu 15 Euro. Dafür ist Düsseldorf öffentlich kritisiert worden. Die Stadt fördere den Bau von Luxusghettos, auch sind die Mieten überall in Düsseldorf gestiegen. Arme Menschen oder Wohnungslose haben so oft gar keine Chance eine Wohnung zu finden. Vermehrt stehen schon in den Wohnungsanzeigen Sätze wie „Keine Hartz IV-Empfänger“. Zudem hat die Stadt selbst in den letzten Jahren 2500 Plätze in städtischen Obdächern geschlossen.

Welche typischen Auslöser für Wohnungslosigkeit gibt es?
Viele Menschen, die wohnungslos werden, haben ihre Arbeit verloren. Verlieren somit ihr soziales Umfeld und ihre persönliche und gesellschaftliche Anerkennung. Der wirtschaftliche Druck wird sehr hoch. Sie können viele Sachen nicht mehr bezahlen, wie z.B. die Raten für die neue Küche, den teuren Sportkurs oder den Handyvertrag. Viele Betroffene verschulden sich und können dann irgendwann die Miete nicht mehr bezahlen. Es droht ihnen dann die Zwangsräumung und sie landen auf der Straße. Leider schaffen es viele Menschen nicht, rechtzeitig eine Beratungsstelle auf zu suchen. Oft aus Schamgefühl oder dem Gefühl persönlich gescheitert zu sein. In vielen Fällen kommt dann Eins zum Anderen, Jobverlust, Trennung von dem_der Partner_in. Das kann Menschen völlig aus der Bahn werfen.

Welche Vergangenheit haben wohnungslose Menschen?
Bei vielen Betroffenen gibt es traumatische Erfahrungen in der Kindheit oder Jugend, wie z.B. Gewalt in der Familie oder der Verlust von Menschen, die man geliebt hat. Wenn dann als Erwachsener heftige Dinge passieren, kommen diese traumatischen Erfahrungen wieder hoch. Oft wird dann der psychische Druck so hoch, dass man anfängt die Probleme mit Alkohol oder anderen Drogen zu betäuben. Ein Teufelskreislauf beginnt.

Welche Verantwortung trägt unsere Gesellschaft für die Probleme wohnungsloser Menschen?
Unsere Gesellschaft ist eine Leistungsgesellschaft. Oft bestimmen Anonymität, Leistungs- und wirtschaftlicher Druck unseren Alltag. Den für Menschen überlebenswichtigen Dingen wird oft eine geringe Bedeutung beigemessen, wie z.B. ein gutes soziales Netzwerk, Familie oder Freundschaften. Sicherlich fragen sich viele Menschen, wenn sie einen Obdachlosen betteln sehen, wie der dahin gekommen ist. Der Gedanke an das persönliche Scheitern wird einem sofort in den Kopf kommen. Aber scheitern wir als Gesellschaft nicht auch, wenn wir arme Menschen vor prall gefüllten Geschäften betteln sehen?

Was wäre für wohnungslose Menschen hilfreich?
Ein respektvoller Umgang wäre gut. Im Leben gescheitert zu sein, ist nichts verwerfliches. Es ist einfach traurig. Ein freundliches Wort, eine nette Geste ist für viele Menschen, die auf der Straße leben, viel wert. Wir alle können durch Schicksalsschläge wohnungslos werden. Wie würden wir dann gerne behandelt werden?

Wie bewertest du die derzeitigen Verhältnisse in Düsseldorf?
Düsseldorf ist eine Stadt, wo die Gegensätze sehr auf­einander prallen. In Düsseldorf leben 391 Einkommensmillionäre, 90.000 Menschen sind auf Arbeitslosengeld-II Leistungen oder Grundsicherung angewiesen. Die Hälfte aller Düsseldorfer_innen haben Anspruch auf einen Wohnberechtigungsschein (WBS). Oft fallen Sätze wie Jahrhundertprojekt, Topadresse, Dachmarke, Prestige-Event, Luxusmeile, wenn es um Düsseldorf geht. Politiker_innen und Stadtentwickler_innen freuen sich über den KÖ Bogen, Wehrhahnlinie oder die Marke Düsseldorf – ich denke eher an explodierende Kosten, Geschäfte in denen man sich nichts leisten kann, Kürzungen im Sozialbereich – an eine Städtekonkurrenz und Marktlogik, die die Interessen der Menschen, die hier leben in den Hintergrund stellt.

Lebenswert

Was motiviert dich bei fiftyfifty als Streetworker zu arbeiten?
Ich arbeite gerne mit Menschen zusammen. Mir gefällt beim Projekt fiftyfifty, dass wir uns nicht nur um die persönlichen Problemen der Betroffenen kümmern, sondern uns auch politisch einmischen. Wir haben viele Protestaktion mit Wohnungslosen zusammen gemacht, wie z.B. für das Sozialticket oder gegen den OSD (sogenannter Ordnungs- & Servicedienst). Ich erlebe jeden Tag, dass Menschen versuchen, ihr Leben wieder lebenswert zu machen. Oft ist es ein harter Kampf gegen Behörden, gegen viele Enttäuschungen bei der Jobsuche, gegen die eigene Sucht. Wir ver­suchen bei fiftyfifty immer neue Wege zu erkunden, wie wir mit der Problematik von Wohnungslosigkeit und Armut umgehen können.