von Mischa Aschmoneit, Programmplaner für den Bereich Politik & Gesellschaft im zakk und Mitkoordinator des Projekts „Straßenleben“
Obdachlosigkeit und Kultur, das beißt sich. An Obdachlosigkeit ist nichts romantisch und bereits das Schreiben über Obdachlosigkeit wird in aller Regel von denen verrichtet, die ein Dach über dem Kopf haben. Wer hingegen vorwiegend mit dem Kampf um das eigene (Über-)leben beschäftigt ist, hat wenig Kraft und meistens kaum die Mittel für den Konsum und die Schaffung von Kultur. Auch deshalb sind obdachlose Menschen fast nie zu Gast im Zentrum für Aktion, Kultur und Kommunikation, dem zakk.
Warum beteiligt sich zakk also an dem Projekt „Straßenleben“? Weil erstens die Menschen, die auf der Straße leben allen widrigen Umständen zum Trotz eigene Kultur entwickelt haben, die es zur Kenntnis zu nehmen gilt. Weil zweitens unser Kooperationspartner im Projekt, das Straßenmagazin fiftyfifty, ein Sprachrohr dieser Straßenkultur ist. Und weil drittens unser selbstgewählter Ansatz ein soziokultureller ist, der gesellschaftliche Verhältnisse und Konflikte nicht ausklammert, sondern zu einem selbstverständlichen Teil des künstlerischen Schaffens und dessen Präsentation macht.
Soziokultur macht Mut, sie wendet sich gegen Anonymität, Isolation, Fremdbestimmung und Sprachlosigkeit. Sie regt an, gesellschaftliche Themen zu hinterfragen und an Entscheidungsprozessen teilzuhaben. Sie schafft Raum für ästhetische Auseinandersetzungen, die nicht abgehoben sind von der Alltagsrealität. Sie vergrößert den Kreis der Kenner_innen und ermöglicht kulturelle Teilhabe.
Als zakk wollen wir einen Beitrag dazu leisten, dass mehr Menschen hingucken, wenn es um das Thema Obdachlosigkeit und die konkrete Lebenssituation von Menschen ohne Wohnung geht. Zugleich möchten wir etwas in den Köpfen in Bewegung bringen, was in diesem Fall am besten geht, wenn sich die eigenen Füße dahin bewegen, wo andere Menschen ihren Alltag leben. Wir sind dankbar dafür, daß die Stadtführer_innen aus dem fiftyfifty-Umfeld uns und den Teilnehmer_innen der Stadtrundgänge das ermöglichen! Wenn es nach uns geht, bleiben wir nicht beim Erkennen und Verstehen stehen, sondern suchen nach Wegen der Veränderung. In diesem Sinne sind wir die „Lesenden“ aus dem 1931 von Bertolt Brecht verfaßten Gedicht „Die Nachtlager“:
Ich höre, dass in New York
An der Ecke der 26. Straße und des Broadway
Während der Wintermonate jeden Abend ein Mann steht
Und den Obdachlosen, die sich ansammeln
Durch Bitten an Vorübergehende ein Nachtlager verschafft.
Die Welt wird dadurch nicht anders
Die Beziehungen zwischen den Menschen bessern sich nicht
Das Zeitalter der Ausbeutung wird dadurch nicht verkürzt
Aber einige Männer haben ein Nachtlager
Der Wind wird von ihnen eine Nacht lang abgehalten
Der ihnen zugedachte Schnee fällt auf die Straße.
Leg das Buch nicht nieder, der du das liesest, Mensch.
Einige Menschen haben ein Nachtlager
Der Wind wird von ihnen eine Nacht lang abgehalten
Der ihnen zugedachte Schnee fällt auf die Straße
Aber die Welt wird dadurch nicht anders
Die Beziehungen zwischen den Menschen bessern sich dadurch nicht
Das Zeitalter der Ausbeutung wird dadurch nicht verkürzt.